von Renate Quermann
Im ihrem Leserbrief nennt Frau Schneider den Eltviller Stadtbildverein in einem Atemzug mit der AfD. Beiden unterstellt sie im gleichen Maße eine "enge" - im Sinne von "zu enge" - "Betrachtung des Begriffs Kulturlandschaft" und "irreale Vorstellungen einer wünschenswerten Landschaft". Als Erste Vorsitzende des Stadtbildvereins möchte diese Aussage nicht unkommentiert lassen.
Für ihre "historische Betrachtung und Einordnung des Begriffs Kulturlandschaft" unternimmt Frau Schneider eine Zeitreise durch 200 Jahre Rheingauer Industriegeschichte, von den Dampfschiffen über die Eisenbahn bis hin hin zum Automobil. Zusammen mit der fortschreitenden Industrialisierung hätten diese technischen Errungenschaften die Hungersnöte und Armut im Rheingau beendetet. Frau Schneider vertritt die Meinung, dass die Rheingauer diese Entwicklungen stets begrüßten und spricht "von einer grundsätzlichen Offenheit der Rheingauer über die Jahrhunderte hinweg allem Neuen gegenüber". Obwohl dieser Punkt im Hinblick auf die Windräder-Diskussion völlig unerheblich ist, möchte ich anmerken, das man gewiss trefflich darüber streiten kann, in wie weit diese Aussage zutrifft; denn der Spitzname "Eltviller Dalbe" kommt schließlich nicht von ungefähr: Eine Dalbe ist ein dicker Holzpfahl, eingerammt ins Rheinufer zum Abweisen von Schiffen.
Von aller größter Bedeutung ist hingegen die Bewertung von Frau Schneider, dass alle Veränderungen, die das Industriezeitalter dem Rheingau bescherte, ausnahmslos "immer" gut waren. Mit dieser Feststellung will sie den Menschen im Rheingau Mut machen, auch künftig offen zu sein für Neues, und für den Bau von Windrädern auf dem Taunuskamm zu stimmen. Aber trifft es denn wirklich zu, dass Rheinregulierung, Bahnlinie und B42 dem Rheingau nur Gutes gebracht haben?
Die Rheinregulierung sollte die Schifffahrtstauglichkeit verbessern. Bei der Rheingauer Bevölkerung traf die Umsetzung der Maßnahmen allerdings auf harten Widerstand. Man wollte den natürlichen, „seeartigen“ Charakter des Rheins, der die Landschaft wesentlich prägte, nicht verlieren und befürchtete zudem, dass Tourismus und die Weinbaukultur Schaden nehmen würden. Der Widerstand gegen die Pläne der Rheinkorrektur für den Streckenabschnitt zwischen Mainz und Bingen sorgte letztlich dafür, dass der Abschnitt als „Inselrhein“ bis heute einen besonderen Charakter bewahren konnte. Anders als in anderen Rheinabschnitten wurden hier im Zuge des Flussausbaus mehrere Flussinseln (Auen) erhalten, die mit ihren Auwäldern heute häufig auch Naturschutzgebiete sind.
Es ist für mich nicht nachvollziehbar wie man der Bahnstrecke durch den Rheingau ein "ausgewogenes Verhältnis" attestieren kann, so wie es Frau Schneider in ihrem Leserbrief tut. Hunderte von Güterzügen innerhalb von 24 Stunden belasten die Menschen im Rheingau, die meisten davon fahren in der Nacht. Zusätzlich gibt es starke Erschütterungen. Gefahrguttransporte mit Chemikalien aller Art in hunderten von Kesselwaggons führen mitten durch die Wohngebiete. Frau Schneider kennt all diese Probleme, beteiligt sie sich doch seit Jahren an den Protesten der "Bürgerinitiative im Mittelrheintal gegen Umweltschäden durch die Bahn e.V.".
Den Bau der B42 nennt Frau Schneider "einen der entscheidendsten Eingriffe in die Rheingauer Kulturlandschaft". Wie recht sie hat! Zuerst wurde der Abschnitt von Eltville nach Rüdesheim gebaut. Hier gab es keinen Widerstand gegen eine Umgehungsstraße zwischen dem Rhein und den Ortschaften, obwohl man heute weiß, dass man es hätte besser machen können, indem man die Umgehungsstraße oberhalb der Orte entlang geführt hätte. Die Konsequenzen dieser Baumaßnahme am Rhein sind für die betroffenen Rheingauorte eine Katastrophe; sie sind abgeschnitten vom Rhein, ohne Aussicht darauf, dass dieser Fehler jemals korrigiert werden könnte.
Der Eltviller Kernstadt war das gleiche Schicksal beschieden: 1974, vor genau 50 Jahren, erging der Feststellungsbeschluss, dass die Umgehungsstraße als 4-spurige Autobahn auf der Eltviller Promenade gebaut wird. Die Aufhebung dieses Beschlusses zugunsten der Nordumgehung war das Ergebnis eines 20 Jahre andauerndes Kampfes gegen den Zeitgeist der 60er und 70er Jahre, der die Unterordnung aller Interessen unter die Bedürfnisse des motorisierten Individualverkehr forderte. Karl Korn, einer der Mitstreiter von Erich Kapitzke, sprach im Hinblick auf die anstehende Zerstörung des Eltviller Rheinufers von einem "Kulturkampf" und warnte vor "Banausentum und verstockter Geschichtsblindheit". Erich Kapitzke war nicht bereit sich dem Zeitgeist zu beugen. Sein großer Erfolg ist dieser Haltung geschuldet. Die Rettung des Eltviller Rheinufers lehrt uns, dass der kurzsichtige Blick des Zeitgeistes oft ein schlechter Ratgeber ist.
Zieht man ein Resümee im Hinblick auf die Auswirkungen der Infrastrukturmaßnahmen im Rheingau in den letzten 200 Jahren, dann bleibt nur die Feststellung, dass sie allesamt mit erheblichen negativen Auswirkungen auf die Rheingauer Kulturlandschaft verbunden sind. Es ist das Verdienst von kritischen Bürgern, dass die Beeinträchtigungen verringert wurden. Diese Erkenntnisse müssen unser Leitfaden sein. Alle Eingriffe in unsere Kulturlandschaft müssen hinterfragt werden, ob sie erforderlich sind und wie sie auf die Kulturlandschaft einwirken. Das gilt auch für Windräder auf dem Taunuskamm. Es steht außer Frage, dass sie die Einmaligkeit unsrer Kulturlandschaft zerstören würden.
Daher lehnt der Stadtbildverein sie ab.
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